Das Ende der Forellensaison bereits am Horizont, wollte ich auch in diesem Jahr noch einen Ausflug in die Berge machen… Recherche und Neugier brachten mich schließlich in den Kanton Uri, der ähnlich wie Graubünden (wo ich im letzten Jahr war) jede Menge Wasser zu bieten hat.

1400 Höhenmeter bis zum Bergsee, fast 7 Stunden bis Sonnenuntergang, das sollte machbar sein… Beim Zustieg zum Einstieg des Aufstiegs geht es zunächst an einem Bergbach entlang, der sich idyllisch durch die Schlucht stürzt. Ich komme nicht daran vorbei, hier ein paar Würfe zu machen! An den glasklaren Gumpen vergeht die Zeit wie im Flug, Fische sind da, aber sie sind klein und schlau, und die große Kraft des Wassers und die Kletterei auf unglaublich glatten Steinen mit knapp 20 Kilo Gepäck machen die Sache nicht einfacher.

Ein Blick auf die Uhr zwingt mich zum Zusammenpacken – Angel verstaut, geht es nun fast senkrecht nach oben… Schnell bin ich an einem Punkt, wo ich gerne mehr Luft einatmen würde, als meine Atemwege Platz haben… ist das ein heftiger Aufstieg! Man sagt, die Berge im Urnerland seien steiler als andernorts, ich glaube das sofort! Graubünden war ein Spaziergang dagegen! Jeder Schritt schmerzt, mir läuft der Schweiss in die Augen, die Oberschenkel brennen.

Der Schritt aus dem Wald hinaus über die Baumgrenze ist magisch. Der Ausblick, der Duft, und das Gefühl, dass man sich das hart verdient hat. Hier beginnt die Freiheit, und auch wenn das Gipfelkreuz noch weit, weit über mir leuchtet, fühlt es sich so an als wäre der schwierigste Teil geschafft.

Die Schatten des Berges werden länger und unten im Tal, wo ich vorhin noch am Bach den Forellen nachstellte, ist der Tag bereits vorbei. Ich mache noch eine letzte Pause, vernichte eine komplette Packung Gummibärchen, und eine halbe Stunde später stehe ich glücklich am Gipfelkreuz und blicke auf den blaugrünen Bergsee, der auf der anderen Seite des Bergkamms auf mich wartet.

In einer kleinen Hütte am See mache ich mir eine Dose Linsen warm und rolle meinen Schlafsack unter dem Dach aus. Schon lange war ich nicht mehr so erschöpft, schon lange nicht mehr so zufrieden. Die kalte Bergluft strömt durchs offene Fenster über mein Gesicht, und als ich nachts kurz aufwache, sehe ich draußen die Milchstraße in einer Klarheit wie ich es noch selten erlebt habe.

Am nächsten Morgen ist die Sonne noch nicht über den Berg als ich am See die ersten Würfe mache – es ist noch kühl und windig, und von Fischen ist nichts zu sehen, einige Blind-Casts mit der Trockenen bleiben ohne Resultat. Gerade als ich einen schweren Streamer anknote um es doch einmal in der Tiefe zu versuchen, sehe ich einen Ring am anderen Ende des Sees… es war doch einer? Neugierig laufe ich um den See herum, und tatsächlich! Schon wieder! Also schnell wieder die Trockene dran…. und plötzlich läuft‘s! Ein kleiner Namaycush und diverse Regenbögler machen den Morgen sehr kurzweilig. Welch eine herrliche Fischerei!

Doch als die Sonne den See erreicht, ist der Zauber wieder vorbei, die Fische hören so plötzlich auf zu steigen, wie sie begonnen haben. Ohnehin ist es höchste Zeit, den Weg ins Tal anzutreten… und bergab geht es nun zwar deutlich schneller, aber meine Knie und Oberschenkel hätten sich über ein Paar Wanderstöcke durchaus gefreut (den Tag danach komme ich zu Hause kaum die Treppen hoch oder runter).

Im Tal angekommen gehe ich nochmals an den Bach, die Forellen sind aber genauso zickig wie am Tag zuvor. Erst die Hopper-Dropper-Montage bringt mir zwei kleine Forellen, eine etwas größere mit wahrscheinlich knapp 25cm verliere ich im Drill… mid-stream-release…  was soll’s, es macht dennoch einen riesen Spaß.

Auf dem Weg zurück zum Parkplatz beschert mir das Urnerland zum Abschied noch eine gewaltige Portion Pfifferlinge, die ich dankend annehme.

Ich bin sehr gerne in der Schweiz, irgendwas ist hier anders. Die Schweizer wirken auf mich zu einem großen Teil sehr ehrlich und selbstbewusst, und dabei freundlich und entspannt. Auf der Fahrt nach Hause schweift mein Blick über die Landschaft. Die steilen Berge im Urnerland, kleine Dörfer auf Almen am Hang, Schweizer Fahnen am Balkon, der Vierwaldstättersee mit seinen fjordartigen Felsen und dann am Zugersee vorbei ein Straßenschild, auf dem „Küssnacht“ steht…. Wilhelm Tell kommt mir in den Sinn und die Worte, die Schiller ihm in den Mund legt: „Durch diese hohle Gasse muss er kommen. Es führt kein andrer Weg nach Küssnacht…“. Viele Ortschaften in den Bergen sind selbst heute noch nur über einen einzigen Weg erreichbar. Wie steil und mühsam diese Wege früher gewesen sein müssen, habe ich am eigenen Leib erfahren, ich habe das Gefühl, dass ich erst jetzt beginne die Schweiz zu verstehen, erst jetzt, wo ich das Urnerland gesehen habe. Die Berge sind Festungen, ein Land wie dieses kann man nicht mit Gewalt unter eine Fahne zwingen, es geht nur als Bündnis, mit Solidarität und Demokratie, trotz der vielen Unterschiede zwischen den Regionen. Und wer seine Eigenheiten und Traditionen auch in einer Solidaritätsgemeinschaft bewaren darf, wird sich geschätzt fühlen, so wie er ist. Vielleicht ist es das, was die Schweiz ausmacht?