Von Grönland träume ich schon seit ich denken kann… wenig Menschen, viel Wasser, viel Natur… das zog mich schon immer magisch an! Und wie ein Wecker, der unweigerlich wieder klingelt, egal wie oft man auf „Schlummern“ drückt, so begegnete mir dieses Land immer wieder zu den verschiedensten Gelegenheiten: als Bildband, den ich zum Geburtstag bekam, als Referatsthema während des Studiums, als Tagungs-Vortrag über ein Forschungsprojekt, als Referenz für meine eigene Arbeit über die Eiszeit in Mitteleuropa, und zuletzt, als mir mein Schweizer Freund Nici vor einigen Jahren berichtete, dass er im Rahmen eines Forschungsprojekt mehrere Wochen dort verbringen würde…. Und so sehr ich mir wünschte, Grönland einmal besuchen zu können, schien es trotz der vielen Kontaktpunkte doch irgendwie unerreichbar.
Schicksal
Aber 2019 standen Nici und ich dann eines schönen Tages gemeinsam am Flüsschen Blau hier auf der Alb. Es hatte am Vortag so stark geregnet, dass das Wasser wie Kakao daherkam, und keine sinnvolle Angelei möglich war. Wir hatten also Zeit zu plaudern, und Nici erzählte, dass er sogar ein ZWEITES Mal nach Grönland geschickt wurde, er schwärmte von der Landschaft, den Flüssen, den Fischen… aber dass der Tag in Grönland immer gut mit Arbeit für das Forschungsprojekt gefüllt war. Mir kam der Gedanke, ob man so eine Grönlandreise nicht auf eigene Faust machen könnte, wenn sich Nici doch bereits gut dort auskannte? Nici stimmte mir zu und versprach, das während seines Aufenthalts einmal zu durchdenken….
Viel Planung, Recherche, eine Pandemie und drei Jahre später standen wir dann auf grönländischem Boden. Wahnsinn! Und die manchmal völlig verwirrenden Verknüpfungen des Schicksals sind schon spannend: Hätte es an der Blau nicht geregnet, stünden wir vielleicht nicht hier, weil keine Zeit zum plaudern gewesen wäre… man weiss nie, für was etwas gut ist!
Wir reisten zu dritt: Neben Nici und mir war noch Lucas mit dabei, ebenfalls ein begeisterter Fliegenfischer und wie Nici ein Biologe… die beiden kannten sich gut, und insofern war ich optimistisch, dass wir uns gut verstehen würden. Und tatsächlich klappte das Ganze hervorragend, wir liefen ein ähnliches Tempo und jeder kam mit den gut 20 Kilo auf dem Rücken zurecht. Und wir waren uns immer erstaunlich einig, wo der Weg weitergehen musste, welche Tagesetappe zu schaffen war, und was wir essen konnten. Nie war jemand schlecht gelaunt, trotz der großen körperlichen Anstrengung. Und selbst beim Fischen habe ich noch selten so rücksichtsvolle Kollegen gehabt, die einem auch einmal den Vortritt lassen, man sich mit Material aushilft usw. Man kann sich wirklich keine besseren Begleiter auf so einer Tour wünschen!
Wir machten insgesamt drei Touren, von denen die letzte Tour auch die längste war, hier waren wir eine ganze Woche am Stück in der Wildnis. Zwischen den Touren hatten wir jeweils eine Nacht in der „Zivilisation“, wo wir unsere Vorräte auffüllen und die Wäsche waschen konnten.
TOUR 1
Die erste Tour war zum „Eingewöhnen“ gedacht, aber sie bot gleich alles, was man sich von Grönland wünschen kann. Vorbei an mächtigen Flüssen und glasklaren Bergseen, unglaubliche Ausblicke auf Gletscher und Berge, und wunderschöne Saiblinge. Zu den Saiblingen gibt es zu sagen, dass grundsätzlich zwei verschiedene Formen vorkommen: die einen sind standorttreu in ihrem Gewässer (sogenannte „Residents“) während die anderen im Fjord leben und nur zum Laichen aufsteigen („anadrome Saiblinge“).
Weil es im Fluss, Bach, oder See viel weniger Nahrung gibt als im Fjord, bleiben die Residents in der Regel sehr klein, da sind 30 Zentimeter schon absolut kapital! Die anadromen Saiblinge sind je nach Fjord und Laichgewässer recht unterschiedlich, in der Regel sind 30 Zentimeter aber eher die Untergrenze.
In den unteren Abschnitten der Fließgewässer kommen meistens beide Formen parallel zueinander vor. Sie gehören auch zur gleichen Art, führen aber einfach einen anderen Lebensstil. Fast jeder Bach hat früher oder später einen größeren Wasserfall, über den die Anadromen nicht hinwegkommen, oberhalb gibt es dann nur noch Residents.
Auf der ersten Tour gab es fischereilich gleich zwei Highlights: das erste war ein winziger Bach mit relativ großen Aufsteigern, die gut versteckt unter der Böschung standen. Kam ein solcher „Eumel“ (Lieblingswort von Lukas im Urlaub) aus der Deckung, war man selten darauf gefasst, und verbockte den Anhieb. Viel häufiger aber schreckte man die Fische auf, die sich dann dezent zurückzogen und nicht mehr auf den Streamer reagierten. Nici stellte sich dabei deutlich besser an als Lukas und ich: er brachte hier bereits deutlich mehr Erfahrung mit und „spürte“ die Stellen wo große Fische stehen konnten. Ihm gelang es entsprechend auch, den einen oder anderen zu überlisten. Die Fische in diesem Mini-Bächlein zu kontrollieren fiel aber auch ihm alles andere als leicht!
Ach ja, Mücken! „In Grönland gibt’s unglaublich viele Mücken…“ wurde uns immer wieder vor der Abreise gesagt. Und tatsächlich, in manchen Gegenden überfielen sie uns in Massen! Ohne Mückennetz über dem Kopf wäre es eine Qual gewesen, sie schlüpften einem in die Ohren, die Augen, die Nase… es waren v.a. kleine Mücken die nicht stachen, aber störten. Stehmücken gab es auch, aber die waren erstaunlich friedlich. Einige hundert Meter weiter waren die Mücken dann oft schon wieder verschwunden… warum in manchen Tälern mehr Mücken waren als in anderen, konnte ich mir bis zum Schluss nicht so recht erklären. Und das blieb auch auf der gesamten Reise so. Das Moskitonetz war sicher einer der wichtigsten Ausrüstungsgegenstände – zwar brauchten wir es nicht wirklich oft, aber in einigen Tälern hätten sie uns ansonsten in den Wahnsinn getrieben.
Der Bergsee, an dem wir nach einem schönen Aufstieg am Abend unsere Zelte aufschlugen, beherbergte wunderbar gefärbte Residents, die erstaunlich groß waren. Wir fingen sie sehr gut auf Trockenfliege, denn eine andere Nahrungsquelle als Insekten kennen die Fische hier nicht. Bei einem Schlückchen Rum und ein paar Keksen genossen wir das Abendlicht mit Blick auf einen gewaltigen Gletscher.
TOUR 2
Die zweite Tour war schon deutlich anspruchsvoller als die erste. Lukas prägte den Begriff der „Todeswanderung“, weil wir am ersten Tag bis zur völligen Erschöpfung marschierten:
Mit dem Boot hatten wir uns an einer Flussmündung absetzen lassen und marschierten stromauf, um dann an einem Zufluss entlang zu einem Hochtal aufzusteigen. Der Plan war, unten am Zufluss ein paar Saiblinge zu fangen, um sie dann am Abend braten zu können…. Doch Theorie und Praxis liegen manchmal weit auseinander, weder am Hauptstrom noch am Zufluss gelang es uns, einen guten Fisch zu fangen. Nur ein paar minikleine Residents und ein halbstarker Anadromer blieben hängen. Der Hauptstrom war auch unglaublich trüb und Nici vermutete, dass die Fische noch nicht aufgestiegen waren. Bis heute frage ich mich, ob das wirklich so war, oder ob wir uns am Ende vielleicht einfach zu blöd angestellt haben?
Ein Blick auf die Landkarte führte zur Idee, das gesamte Bergmassiv an einem Tag zu überschreiten, und nicht wie ursprünglich im Hochtal zu übernachten. Der Fluss, der auf der anderen Seite des Massivs in den Fjord mündete, sah auf der Karte interessant aus, und wir nahmen an, dass es dort Fische geben würde….
Also marschierten wir los… über bröseligen Granit, Geröll- und Schutthalden hinauf, durch Gräben hindurch und am Hang entlang auf 600 Meter ins Hochtal. Die Beine schmerzten! Im Hochtal ging es dann gut voran, aber es zog sich, und zog sich, und zog sich… bis endlich der Fjord auf der anderen Seite am Horizont erschien.
Selbst jetzt, wo wir das Ziel vor Augen hatten, lagen aber noch mehrere Stunden vor uns, durch unwegsames Gelände, ohne irgendwelche Wege… als wir endlich unten ankamen, konnten wir kaum noch Piep sagen. Aus der Idee „schnell ein paar Saiblinge aus dem Fluss zu holen“ wurde dann aber nichts, denn der Fluss schien komplett leer zu sein. Wahrscheinlich war es der sauberste, klarste Fluss den wir auf unserer Reise sahen. Aber Fische gab es auch keine, und so mussten wir irgendwann einsehen, dass es einfach nur Nudeln geben würde. Nach mehr als 25 Kilometern in unwegsamem Gelände, mit schweren Rucksäcken über viele Höhenmeter, waren wir ziemlich platt. Dennoch war keiner schlecht gelaunt, keiner nörgelte, ein wirklich super Team!
Die restlichen Tagesetappen waren durch die irre Strecke am ersten Tag aber deutlich verkürzt und dadurch sehr entspannt. Unterwegs fanden wir dann auch endlich noch ein paar Saiblinge an einem wunderschönen Bach, und in Igaliko gab es sogar ein Bier… wie gut das nach den Strapazen schmeckte!
Spannend waren auch die archäologischen Ausgrabungen an der alten Kirche von Igaliko. Das Dörfchen war vom Wikinger Einar vor mehr als 1000 Jahren gegründet worden und entwickelte sich zum Bischofssitz des Nordens. Kein Wunder, denn für grönländische Verhältnisse gibt es hier wirklich üppige Wiesen, relativ ebenes Gelände und einen Fjord ohne Gletscher. Hier versteht man, warum die Wikinger dieses Land „Grönland“, also „Grünland“ nannten….
DORSCH-EXKURS
Zurück in unserem „basecamp“ konnten wir es nicht lassen, die Zeit beim Angeln im Fjord zu verbringen. Von der Hafenmauer konnte man sehr gut Saiblinge und Dorsche fangen, doch der Grönlanddorsch ist eher klein – 50 Zentimeter sind da schon ein guter Fisch.
Umso schöner war es, dass uns der Däne Aage einlud, mit seinem Boot hinauszufahren, um dort auf die größeren, „normalen“ Dorsche zu fischen. Genau für so eine Gelegenheit hatte ich auch meine 10er Fliegenrute mit Sinkschnur mitgenommen und einige größere Streamer auf Salzwasserhaken gebunden…. Und tatsächlich klappte es! Wir fingen Dorsche zwischen 70 und 90 Zentimeter, was irre Spaß machte!
TOUR 3
Und dann ging es auf die große Tour… wir hofften auf viel Fisch. Aber Nudeln, Reis, Haferflocken und Polenta für eine ganze Woche musste in den Rucksack. Auch genug Brennstoff für die Kocher, das ganze Camping-Equipment und unser Angelzeug. Insbesondere Wathose und Schuhe schmerzten mich… meine Watschuhe wiegen nass einige Kilogramm und trocknen leider sehr langsam. Aber wie sich noch zeigen würde, war es die Mühe wert!
Die Tour führte uns alle Facetten Grönlands vor… wir standen vor gigantischen Gletschern, sahen Fjorde voller Eis, und an manchen Tagen mehr Seeadler als in meinem gesamten bisherigen Leben…. Wir stiegen ins Gebirge auf, erkundeten Täler und Flüsse und fischten wann immer möglich.
Ich weiss nicht ob ich jemals eine so schöne Trekking-Tour gemacht habe, oder jemals wieder machen werde. Körperlich hatten wir uns langsam an den schweren Rucksack und die Wanderstiefel gewöhnt, aber anstrengend war es dennoch! Das Gelände sah auf der Karte zum Teil recht eben aus, und auch von weitem schien es wie eine grüne Wiese. Tatsächlich waren es dann oft aber mit Moos und Sträuchern bewachsene Blockhalden, und ein falscher Tritt hätte einem den Fuss brechen können. Da war neben der körperlichen Anstrengung auch Konzentration gefragt, und Wege denen man stumpf folgen konnte, gab es eben nicht. Die topographische Karte war unser wichtigster Anhaltspunkt. Mit dem Suchen des richtigen Weges wechselten wir uns ab, jeder übernahm einmal die Führung.
Wenn wir am Abend erschöpft eine gute Stelle zum Aufschlagen der Zelte gefunden hatten, sprangen wir manchmal noch kurz in den Bach oder Bergsee. Das Wasser war zwar knackig kalt, aber so lag man erfrischt im Schlafsack und schlief gleich nochmal so gut.
Bei unserer ersten Tour hatte es mich Nachts noch etwas gefroren, und Nici gab mir den Tipp, im Schlafsack WENIGER statt MEHR Klamotten zu tragen. Er hatte lange in einem Outdoor-Laden gearbeitet und auf Schulungen war ihnen das so beigebracht worden. Ich machte das Experiment, auch wenn ich nicht verstehe, welche Logik dahinter steckt. Nun, es funktioniert aber tatsächlich. Ich schlief nur noch in Unterwäsche und fror kein einziges Mal mehr. Überhaupt war es ein Glück, dass Nici aus seiner Zeit bei „Transa“ (einem Schweizer Outdoor-Unternehmen) viel hochwertiges Equipment hatte, das für solche eine Tour ideal war. Und für Grönland ist wirklich nur das Beste gut genug, man kommt so schnell einfach nicht mehr zurück in die Zivilisation wenn etwas schiefgehen sollte.
Als Ziel dieser Tour wollten wir an einen Fluss, von dem wir bereits wussten, dass dort große Saiblinge aufstiegen. Dieser mächtige, milchig grünblaue Gletscherfluss war laut Karte jedoch nur im Delta mit einer Furt durchquerbar, und auf unserer Seite des Flusses kamen Steilwände von mehreren hundert Metern Höhe… das würde uns viel Kraft und Zeit kosten, einen entsprechenden Pass zu finden, um die Steilwände weiter oben im Gebirge zu umlaufen. Falls wir es schaffen konnten, den Fluss weiter oben zu durchwaten, würden wir uns viele Stunden und hunderte Höhenmeter sparen… aber einen Fluss dieser Größe durchwaten? Uns schien das unrealistisch.
Dennoch… der Gedanke ließ uns nicht los, und wir beschlossen, einen kleinen Umweg zu machen um den Fluss in einer besonders breit aufgefächerten Kurve aus der Nähe anzuschauen. Denn dort, wo der Fluss breit ist, kann er bei gleicher Wassermenge ja normalerweise nicht mehr so schnell und so tief sein. Skeptisch näherten wir uns dem Fluss, und wurden mit jedem Schritt zuversichtlicher. Zwar war der Fluss so trüb, dass man nichts sehen konnte, die Riffelung der Oberfläche verriet aber, das es hier nicht tief sein konnte. Also legten wir die Wathosen an, einen Versuch war es wert! Lukas prüfte mit dem Wanderstock die Wassertiefe und wir machten einen ersten Schritt ins Wasser, und noch einen, und noch einen…. Und das Grinsen auf unseren Gesichtern wurde immer breiter. Irgendwann stieß Nici einen Freudenschrei aus, es war zu schaffen. Wir durchquerten den Fluss vollends und suchten auf der anderen Seite einen Zeltplatz. Wahnsinn! Wer hätte das für möglich gehalten?
Die Fischerei die uns dann am nächsten Tag erwartete war alles andere als einfach, wir mutmaßten dass wir auch hier ein kleinwenig zu früh dranwaren und noch nicht allzu viele Fische im Fluss waren. Dennoch war es das absolute Highlight des Urlaubs was das Fischen angeht! Mein größter Saibling maß 62 Zentimeter, es war ein Weibchen, das noch silbrig-blau schimmerte, also noch nicht lang im Fluss war. „Char fight like hell“, schrieb kürzlich jemand in einem Artikel, und ich kann das nur bestätigen. Mit Forellen gleicher Größe hat das nichts zu tun, eher mit einem Lachs, wobei selbst die in meiner Erinnerung nicht so heftig gekämpft haben.
Einen wahrscheinlich noch größeren, aber schlankeren Saibling verlor ich kurz vor dem Kescher. Er biss in einem Kehrwasser am Rande der Hauptströmung und wollte sofort raus ins schnelle Wasser. Ich musste ihn mehrfach mit großem Druck davon abhalten, und als ich dann schon den Kescher in der Hand hielt, schlitze wohl der Haken aus…. Shit happens. Wobei ich den Biss und Drill dennoch erleben durfte, und den Fisch gesehen habe. Dass er nicht im Kescher landete ist dann vielleicht auch halb so schlimm… zumindest versuche ich mir das einzureden J
Damit nahm die Tour dann auch ein Ende. Nici und Lukas hatten das Glück, noch zwei Tage länger bleiben zu können, und nochmals am großen Fluss zu fischen. Sie fingen noch einige unglaublich schöne und große Saiblinge, offenbar machten bereits diese wenigen Tage einen großen Unterschied, jede Nacht stiegen weitere Fische in den Fluss auf und von Tag zu Tag wurde das Angeln besser…
Nachdem ich nun bereits wieder drei Wochen zurück bin, träume ich immernoch von dieser unglaublich beeindruckenden Reise. Und wie gerne würde ich meinen Bürostuhl wieder gegen den schweren Rucksack eintauschen… in Grönland war ich wirklich glücklich, was für ein Abenteuer!
Danke an Nici und Lukas für die tolle Kameradschaft, danke für eure kulinarischen Ideen, danke an Aage für die Bootstour und an Jakob für die Übernachtungsmöglichkeit! Und danke an meine Familie, dass sie mich manchmal ziehen lassen, auch wenn es für den Alltag zu Hause eine Herausforderung ist. Aber ich glaube sie wissen, dass ich das Abenteuer brauche um mich lebendig zu fühlen!